Brigitte Nr. 9/2000 vom 18. April 2000
„Alles hält in Hacikiri“
Mit der legendären Bagdadbahn quer durch die Türkei

Reportage über unsere Reise:
„Die Wunder der Natur - Das Schaffen der Menschen“
Mit der legendären Bagdadbahn quer durch die Türkei: an Stationen mit klangvollen Namen. BRIGITTE Autorin Monika Held (Text) und Sabine Steputat (Fotos) reisten von Istanbul bis Adana.

“Die Fahrt beginnt um Mitternacht. Das Schiff hat uns von der europäischen Seite Istanbuls auf die asiatische Seite geschaukelt und vor dem großen Bahnhof Haydarpasa abgesetzt. Die Lok röhrt, die Reisenden wuchten Koffer und Kisten in die Abteile, wir reisen mir leichtem Gepäck. Drei Menschen, drei Rucksäcke. Der Schaffner macht aus unserem Abteil eine Schlafstube. Das Letzte, was wir von Istanbul sehen, sind Menschen, die winken. Abschiedsgesichter. Am Ende unserer 14-tägigen Reise mit der Bagdadbahn durch die Türkei sind wir Spezialisten für Abschiede und Ankünfte. Können Trauer von Traurigkeit unterscheiden. Und höfliche Umarmungen von inniger Freude.
Wir lassen uns am Marmara-Meer entlang durch die Nacht ziehen. Wir sind müde und können nicht schlafen. Schließen die Augen und lassen uns den Beginn dieser Reise von den Ohren erklären. Die Stimmen auf dem Flur, die wir nicht verstehen, übersetzt uns Artur Mehmet, unser türkisch sprechender Reisebegleiter. Sie berichten von Rindern und Schafen, guten und schlechten Preisen, ehrlichen Käufern und gemeinen Betrügern. Unsere Nase verrät uns, was die Menschen auf den Fluren aus ihren raschelnden Tüten holen. Es riecht nach Schafkäse, gebratenem Huhn, warmem Brot und Knoblauch. Unser ausgestreckter Körper verrät uns die Beschaffenheit der Strecke und der Schienen. Unser Zug gleitet nicht durch die Nacht. Er hüpft, er springt, er schaukelt und wiegt uns. Einmal in dieser Nacht finden wir uns, als hätte uns jemand geweckt, vor dem Fenster wieder. Wir starren in den Himmel. Die Sterne sind heller als bei uns zu Hause, doppelt so groß und zum Pflücken nah.
Am nächsten Morgen lernen wir unsere Schlafgesichter kennen. Verstrubbelte Haare. Müde, blasse Haut. Verquollene Augen. Nicht weil uns seit einer Stunde die Sonne ins Gesicht scheint, sondern weil sich die Heizung nicht ausstellen ließ. Ein Omenfür den Rest der Fahrt: Nimm gelassen hin, was dir begegnet -ändern kannst du es sowieso nicht. Auf Züge werden wir warten müssen. Unsere Mitreisenden suchen wir uns nicht aus. Sie reden mit uns, wir reden mit ihnen. Artur Mehmet übersetzt.
Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin? Schön, dass ihr mit dem Zug durch unser Land fahrt! Sie fragen uns: Was denkt ihr über die Kurden, was über den Öcalan-Prozess? Lebenslänglich oder aufhängen? Wir fragen nach den Menschenrechten und der Folter. Sie fragen nach den Türken in Deutschland. Warum kein Kopftuch in der Schule? Warum prügelt ihr Ausländer? Wir streiten nicht. Wir sind Fremde. Wir hören zu, sagen, was wir denken. Deutsche und Türken sollen Freunde sein, sagen sie und schenken uns Apfelsinen, Maulbeeren, Oliven und Apfel.
Wir fahren mehr als tausend Kilometer mit einem Zug, der über eine der denkwürdigsten Eisenbahnlinien der Welt fährt. Die alte Bagdadbahn wurde Ende des 19. Jahrhunderts geplant. Die anatolische Eisenbahngesellschaft erhielt die Bau-Konzession 1899 von der Deutschen Bank. Alte Bilder erinnern an die ersten Bahnen durch den wilden Westen. Arbeiter verlegen Schienen und zimmern gewaltige Brücken aus Holz. Eine kleine französische Eisenbahn fährt das Material zu den Baustellen. Wer hart arbeitet, muss kräftig essen. Kamele, hoch beladen, schleppen Proviant herbei. Geschlafen wird in Zelten, im Sommer und im Winter. Gemütlich sieht das nicht aus. Wer nicht in den Ersten Weltkrieg ziehen wollte, konnte sich zur Bagdadbahn melden. Früher Ersatzdienst in der Türkei. Gesucht wurden Betriebs-kontrolleure und Bahnmeister, tüchtige Buchhalter und Sekretäre. Am 15. Juli 1940 konnte die Strecke Istanbul - Bagdad zum ersten Mal durchgehend befahren werden.
Der deutsche Kaiser adelte das Unternehmen, indem er die erste Teilstrecke von Konstanrinopel bis Hereke befuhr - aber auch das hat aus der Bagdadbahn keinen Luxuszug gemacht. Er wird bis heute von Bauern und Arbeitern benutzt. Von Reisenden, denen das Fliegen zu teuer ist und das Fahren mit dem Auto zu anstrengend. Und von den wenigen Touristen, die in ihrem Urlaub auf Luxus verzichten können.
8.01 Uhr, Ankunft in Afyon. Männer wuchten schwere Säcke in den Zug, Frauen tragen Körbe mit Obst und Gemüse. Kinder fahren zur Schule in den Nachbarort. Das Verkaufen von Waren im Zug ist verboten - schön, dass sich niemand daran hält. Wir kaufen Fladenbrot und für ein paar Pfennige dicke grüne Oliven. Um 9.07 Uhr sind wir in Cay. In Ilgin gucken wir nicht auf die Uhr, um 10.34 Uhr sind wir in Kadinhandi. Das ist für Zugfahrer wichtig - wann sind wir wo? Wie lang ist der Aufenthalt? Wer Steig,! ein, wer steigt aus? Wir fangen an, die Tunnel zu zählen. Wir gleiten, eingelullt durch das rhythmische Rattern, in einen kurzen Schlaf. Und merken, vollgesogen mit Landschaft, wie der Zug unsere Träume verändert. Sie nehmen die Farben der Bilder an, die an uns vorbeiziehen. Mal sind die Träume grün wie Olivenbäume. Mal gelb wie versengtes Heu, mal braun wie die t Äcker. Und durch alle Träume pfeift die Eisenbahn.
Wie haben wir uns eigentlich Konya vorgestellt? Eine Stadt voller Musik, zu der sich die berühmten Derwische drehen? Konya ist laut. Hochburg des Islam, in der die meisten Frauen Kopftücher tragen. In Konya gibt es keinen Alkohol, und kein Derwisch will sich für Touristen drehen. Aber wir besuchen ihr Kloster. Schieben uns mit Pilgern aus aller Welt an dem Sarkophag Mevlanas vorbei, der im 13. Jahrhundert den faszinierenden Sun-Orden der Tanzenden Derwische gründete. Wir kaufen Kassetten, wir hören ihre Musik, bleiben vor den vielen Plakaten in der Stadt stehen. Der hohe Hut, der schräg gelegte Kopf, die fliegendenGewänder und die ausgebreiteten Arme — wir möchten sie tanzen sehen! Aber sie drehen sich, wenn ihre Zeit kommt, und nicht, wenn die Touristen es wollen.
Wir bleiben in Konya - und vermissen schon am Abend unseren Zug. Im Bett schlafen ist langweilig. Doch wir müssen für zwei Tage aufs Auto umsteigen, weil das, was wir sehen möchten, mit der Bagdadbahn nicht zu erreichen ist. Wir wollen nach Kappadokien. Durch die Täler von Zelve wandern, in die alten Felswohnungen der Christen kriechen, die sich hier vor den Römern versteckten. Wir wollen Kaymakli sehen. Siebenstöckige Häuser, in die Erde versenkt. Reingehackt, gebohrt, gesägt - keiner weiß es. Negativbauten nennen Archäologen das. Nicht aufbauen, sondern aushöhlen. Keine Hochhäuser, Tiefhäuser.
Die sehen aus, als hätten sich riesige Termiten durch den Tuffstein gefressen. Und Vorratskammern angelegt. Wohnräume und Weinkeller und Schächte zur Belüftung. Man nennt die unterirdischen Städte Kappadokiens die weißen Flecken in der Geschichte Anatoliens. Wer hat das gemacht? Von späteren Bewohnern gibt es Spuren. Von den Hethitern, von den Christen. Aber von den Erbauern fand man keine Knochen, keine Gräber. Keinen Essnapf, keinen Becher. Vielleicht hat das Volk der Phryger diese Stadt gebaut. Ein Volk auf der Flucht. Irgendwann zwischen dem siebten und achten Jahrhundert vor Christus. Die Phryger waren Meister im Bergbau, das weiß man. Vielleicht haben sie selbst in den Tierhäusern niemals gewohnt. Vielleicht waren das ihre Verteidigungsanlagen.
Wir kriechen gebückt durch das unterirdische Labyrinth. Der Menschengeschichte fehlen fünfhundert Jahre. Das irritiert die allwissenden Nachfahren. Aber nicht den pensionierten General aus Kaymakli, der sich jeden Nachmittag zwischen die flachenFelsen setzt, die auf diesen Häusern stehen, mit seinen Händen die Erde berührt und in die Landschart horcht. Er winkt uns zu: „Kommt hoch zu mir. Setzt euch auf die Felsen. Spürt die Erde. Sie wird euch ihre Geschichte erzählen. Weil die Erde ihre Geschichte niemals vergisst."
Irgendwo unterwegs ein Plakat. Der hohe Hut, der schräge Kopf, die fliegenden Gewänder. Sie tanzen! Wo? In Avanos. Wann? Heute Abend. Mevlana-Schüler gibt es an vielen Orten. Nach Avanos fahren dauert weniger als eine Stunde. Die Derwische treten im Kulturzentrum auf.

Wir sind keine hundert Zuschauer an diesem Abend. Sie betreten den Saal erst, als sie von uns nur noch den Atem hören. Erst die Musiker. Ein Schlag auf die Trommel. Allah sagt dem Kosmos: Sei da. Eine Flöte erzählt, wie Allah allen Körpern eine Seele und damit das Leben geschenkt habe. Als die Flöte schweigt, gleiten die Derwische auf die kreisrunde Tanzfläche. Hohe Hüte, weite, weiße Gewänder, schwarze Umhänge. Sie kreuzen die Arme vor der Brust, sie verneigen sich voreinander, immer wieder, bezeugen dem obersten Schöpfer Achtung und Respekt. Dann fangen sie an, sich langsam zu drehen. Sie breiten die Arme aus.
Eine Handfläche wendet sich dem Himmel zu, nimmt Kraft und Segen von Gott, die andere zeigt nach unten, gibt das Empfangene dem Menschen weiter. Sie tanzen mit geschlossenen Augen. Werden schneller und schneller. Sie sind die Planeten, die sich um die Erde drehen. Wenn sie ohne Musik tanzen, hören wir nur das Rauschen ihrer weiten Kleider. Das klingt, als flögen sie an uns vorbei. Die Derwische öffnen die Augen. An diesem Abend hat ihr getanztes Gebet eine Stunde gedauert.
Zurück zur Bahn. Städte, Bahnhöfe, Dörfer. Einsteigen, aussteigen, warten. Das Zugfenster wird zum Rahmen für die Bilder, die wir sehen. Die Bahnfahrt macht uns zu Voyeuren. Da unser Zug nicht rast, haben unsere Augen für alles, was uns interessiert, zwei, drei Minuten Zeit. Das reicht, damit sich ein Bild in einem Kopf einnisten kann. Wir fahren an einem Feld entlang. Wir sehen einen Bauern hinter Pferd und Pflug. Bevor der Zug den Ausschnitt verlasse, hebt der Bauer die Peitsche. So wird er sich in unserem Kopf festsetzen. Mit erhobener Peitsche. Den Schlag sehen wir nicht mehr. Bis heute stehen für uns an der gesamten Bahnstrecke Menschen, die nicht aufhören können, das zu tun, was wir von ihnen gesehen haben. Das Liebespaar im Hauseingang: zwei Köpfe, ein Körper. Für immer. Die Frau am Waschbottich. Nie wird sie aufhören, ihre Wäsche zu waschen. Und das Mädchen, das mit verschmiertem Mund am Bahnsteig steht und winkt, wird ihren roten Marmeladenmund behalten müssen.
Wir gucken in Höfe und Ställe. Wir stellen uns Fragen, als seien wir Kinder. Wo geht der hin? Wo kommt der her? Was macht denn die da? Wer es genauer wissen will, muss aussteigen. Warum nicht an der nächsten Station? Unser Ort heißt Hacikiri. Sechzig Häuser an den Gleisen. Yahya hat über seiner Teestube zwei Räume, in denen wir unsere Schlafsäcke ausrollen können. Sabri schultert sein Gewehr und lädt uns zu einem Spaziergang ein, den wir eher als Gewaltmarsch empfinden. Fünf Stunden Wandern mit einem Beschützer.
»Wozu das Gewehr, Sabri?"
Er sagt, dieser Wald sei nicht der Odenwald.
„Wovor beschützt du uns?"
Er lacht: „Vor Räubern und Gangstern." Nein, Angst hat er nicht. Nur wurden Männer im Wald gesehen, die niemand kennt. Und es heißt, dass Gefangene aus dem Gefängnis der Kreisstadt ausgebrochen und seitdem verschwunden sind. Und außerdem: Ohne sein Gewehr ist Sabri nicht Sabri. Er erzählt, dass dreißig „Häuser" nach Deutschland ausgewandelt seien. Er zählt die leeren Gebäude, nicht die Menschen, die gegangen sind „und wiederkommen werden mit der Rente aus Deutschland". Einen dieser Rentner lernen wir kennen. Er sitzt vor seinem Haus und zählt die Züge. Er ist 70 Jahre alt. Ein dicker Mann, mit sich und der Welt zufrieden. Seine Frau und seine fünf Kinder sind in Deutschland geblieben, weil sie sich den Rest ihres Lebens in Hacikiri nicht mehr vorstellen konnten. Und weil der Heimkehrer nicht allein leben will. Hausmagd, Köchin und Geliebte braucht, hat er sich für tausend Mark eine Kurdin gekauft, keine 17 jähre alt. Drei Kinder wird er ihr machen, prahlt er im Dorf. Allen tut das Mädchen leid, aber niemand kann ihr helfen. Sabri liebt den Ort an der historischen Eisenbahnlinie. „Die Bahn ist ein Segen", sagt er. „Sie hat Menschen gebracht. Sie hat ein Dorf bekannt gemacht, das früher nicht einmal die Vögel kannten." Er mag die Geräusche der Züge, und er kennt sie alle. Den Frühzug, den Mittagszug, den späten Güterzug. Die Züge, die in der Nacht durch den Ort fahren. Züge mit Menschen und Züge mit Waren aus Bulgarien, aus Griechenland, Russland, Irak. Voller Stolz sagt er: „Und alles hält in Hacikiri." Seine Bitte am Ende unserer Wanderung ist eher ein Befehl:
Hinsetzen. Auf die Gleise der riesigen Brücke, die sich hinter dem Ort über ein Schwindel erregend tiefes Tal spannt. Hier erzählt uns Sabri die Geschichte des deutschen Ingenieurs, von dem die Brücke ihren Namen hat. Warda-Brücke. Warda steht für: Achtung! Aufgepasst, ihr Leute da unten, es fallt etwas ins Tal. Der Ingenieur, sagt Sabri, habe bei den Bauarbeiten ganz plötzlich das Gleichgewicht verloren und sei mit einem lang gezogenen Schrei ins Tal gestürzt: Waaarrrdaaaaa!!! Sabri stellt uns auch den Metzger des Dorfes von Mustafa. Der ist belesen wie ein Lehrer und verkauft Lammbraten und Lammkoteletts an die Eisenbahner aller Züge, die in Hacikiri halten. Nach zwei Tagen kennen wir alle Männer im Dorf. Frauen und Männer werden morgens von Lastwagen abgeholt und zur Arbeit in den Wald gefahren. Wenn sie am Abend zurückkehren, gehen die Frauen in ihre Häuser und bleiben dort für den Rest des Abends. Ihre Männer gehen zu Yahya in die Teestube.Die Männer, die zuerst ins Bett gehen, sind die Börek-Bäcker. Die stehen morgens um fünf Uhr auf, füllen den Teig, den ihre Frauen machen, mit heißen Kartoffeln und steigen, wie wir an diesem Tag, in den ersten Zug, der nach Süden fährt. Ein Arbeiterzug, in dem sie ihre Teigtaschen verkaufen. Drei Stück für 60.000 Lira — etwa 21 Pfennige. Sie steigen aus, wenn alles verkauft ist, und warten auf den Gegenzug. Wenn sie gegen Mittag wieder in Hacikiri sind, haben sie 30 Mark verdient.
Wir fahren in den Süden ans Meer. Wir lernen auf dieser Fahrt einen 14-jährigen Jungen kennen, der seit zwei Jahren als Teppichknüpfer arbeitet. Er findet nicht, dass er zu jung für diese Arbeit sei. Er will berühmt werden wie sein Patron. Dem werden die kostbarsten Teppiche aus aller Welt zum Reparieren geschickt. Und der Patron, sagt Ömer stolz, der habe auch mit zwölf Jahren angefangen. Wir werden von dem Direktor eines Gefängnisses eingeladen, auszusteigen, um uns seinen Knast anzugucken. Aber wir haben keine Zeit mehr. Schade. Ein junges Mädchen probiert seine Deutschkenntnisse an uns aus. Nach dem Abitur will sie nach Deutschland gehen. „Wohin denn sonst?"
Das Fischerdorf am Mittelmeer heißt Yumurtalik. Es hat einen schönen Hafen und einen langen Strand. Trotzdem: Nach über tausend Kilometern im Zug kommt uns das Städtchen hektisch vor. Zu laut. Zu viele Autos. Wir vermissen unsere Eisenbahn. Menschen, die am Strand liegen, hören keine Geschichten mehr.
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Von Volker Wartmann
Sieben sonnige Tage auf dem ersten Weitwanderweg der Türkei.
Mit den Hähnen weckt uns der Muezzin in aller Herr gottsfrüh. Eindringlich hallt das Echo seines Rufes zum Morgengebet von den steilen Bergen hinter dem Dorf zurück. Sein Gesang kommt hier in Faralya, wie vielerorts anders auch üblich, aus Kostengründen vom Tonband.
Wir sind auf dem "Lykischen Weg" unterwegs, dem ersten markierten Fernwanderweg in der Türkei. Dieser führt auf alten Pfaden von Fethiye nach Antalya und eröffnet immer wieder weite Ausblicke auf die zerklüftete Mittelmeerküste. In sieben Tagen erwandern wir ausgewählte Teilstücke der insgesamt mehr als 500 Kilometer langen Strecke.
Schon kurz nach dem Start in Fethiye lassen wir den Alltagstrubel hinter uns. Der Feldweg verengt sich zu einem steinigen Pfad, auf dem man nur noch hintereinander gehen kann. Parallel zur Steilküste geht es gemächlich, aber stetig bergan. Vorn marschiert Bergführer Kemal in seinen zwei Nummern zu großen Sandalen, wir in festem Schuhwerk hinterher.
Anfangs führt der Weg noch durch einen schattigen Kiefernwald, der sich bald lichtet und mit zunehmender Höhe mittelmeertypischer Macchia weicht. Zwischen den immergrünen Hartlaubgewächsen zwitschern fröhliche Finken und läuten die Glocken unsichtbarer Ziegen. Eine fünfköpfige Herde wilder Hauspferde kreuzt unseren Weg, später ein Pärchen griechischer Landschildkröten. Als wir nachmittags in Faralya ankommen, haben sich Wolken auf die Berge gelegt, die fast ein wenig bedrohlich wirken. Viel los ist in Faralya nicht. Eine junge Frau führt zwei angeleinte Ziegen zur Weide, ein paar alte Männer auf Plastikstühlen spielen Backgammon.
Abends wird es auf der Terrasse der kleinen Dorfpension empfindlich kühl. Die Gastgeber laden uns ins private Wohnzimmer ein. Bergführer Kemal weist uns diskret darauf hin, vor der Tür die Schuhe auszuziehen, dann nehmen wir auf dem altrosa, blümchengemusterten Sofa Platz. Die Tochter des Hauses träufelt jedem Besucher zur Erfrischung ein wenig Kölnisch Wasser in die Hände und kocht Tee für alle. Ein bullernder Holzofen wärmt das Zimmer, das von einer nackten Neonröhre ausgeleuchtet ist, an den Wänden hängen grell bunte Zierteppiche mit Pfauen- und Bärenmotiven. Mitten im Raum ein großer Satellitenfernseher, in dem Seifenopern laufen, zwischen denen Vater und Tochter alle paar Minuten hin- und herschalten. Geduldig übersetzt Kemal die schüchternen Unterhaltungsversuche beider Seiten.

Unbehelligt von Autoverkehr wandern wir tags darauf auf einer einsamen Schotterstraße weiter bis in das nächste Dörfchen Kabak. Nur einmal überholt uns eine knatternde 250er- Jawa, von der uns eine vierköpfige Familie freundlich zuwinkt.

Von Kabak steigen wir das erste Mal hinunter zum Meer, in eine menschenleere Kieselsteinbucht. Gelegenheit für ein Erfrischungsbad, bevor der nächste anstrengende Anstieg folgt. Jeder versucht seinen persönlichen Gehrhythmus zu finden. Der Pfad quert steile Geröllfelder und rutschige Wurzeln, führt unter Felsüberhängen und umgeknickten Kiefern hindurch. In einem Olivenhain machen wir Mittagspause: Weißbrot, Schafskäse, Tomaten, Gurken, Salatblätter und köstliches Wasser, das wir an einer der Quellen abgezapft haben.

In Alinca versuchen die Menschen, den Bergen mit Terrassenbau wenigstens halbwegs ebene Flächen für den Anbau von Gemüse und Getreide abzutrotzen. Oft graben sie noch mit Handpflügen den Boden um. Einen Gegensatz zu den armen Dörfern von heute bilden die antiken Städte der Lykier. Viele liegen an unserem Weg: Xanthos, Patara, Myra, Olympus. Die teilweise gut erhaltenen Theater, Grabstätten und vielseitig verzierten steinernen Ornamente lassen auch 2000 Jahre nach dem Untergang der Lykier deren Reichtum erahnen. Nach harter Gegenwehr wurde Lykien 43 n. Chr. als letzter Landstrich Kleinasiens ins Römische Reich eingegliedert.

Sehr viel weiß man über dieses Volk nicht, das in der etwa 1000-jährigen Geschichte ihrer Existenz eine eigenständige Kultur entwickelte. Auf Steintafeln haben sie schriftliche Zeugnisse hinterlassen, die Inschriften zu entziffern, ist bis heute nicht gelungen.

Ähnlich begeistert wie wir waren auch die Lykier vom Strand von Patara, der nur einen Steinwurf von der gleichnamigen antiken Ruinenstadt entfernt liegt. Mit mehr als zehn Kilometern Länge ist er einer der längsten Sandstrände der Türkei. Von den riesigen Dünen aus verabschieden wir am Abend die Sonne, die am Horizont feuerrot im Meer versinkt.

Nach ein paar Tagen machen wir Stopp in Kas. Ein Kontrastprogramm: Der Fischerort, der bis Ende der 70-er Jahre nur mit dem Boot erreichbar war, hat sich zu einem Touristenstädtchen entwickelt. Restaurants, Souvenir-, Teppichläden und Boutiquen haben sich in den alten Häusern eingenistet, jährlich wachsen neue Pensionen und Hotels den Hang hinter dem Dorf hinauf.

Touristen wird Tauchen und Gleitschirmfliegen im Tandem angeboten, im Hafen werben die Besitzer von Charteryachten um Tagesausflügler. Freitags aber dominiert der Markt. Unter kreuz und quer gespannten Baumwollplanen verkaufen Bauern und Händler aus der Umgebung ihre Erzeugnisse und Waren: Ziegen- und Schafskäse aus großen schwarzen Plastiksäcken, bergeweise Orangen, Bananen, Pfefferoni, Gurken, Kräuter, frischen Tabak per Kilogramm, handgeschmiedete Ziegen-, Schafs- und Kuhglocken, Lorbeer- und Mandelöl und verführerische, bekannte und vor allem unbekannte Gewürze.

Oder rote Plastikkleiderbügel, Rasierseife und Zahnbürsten, Jeans, Hemden, T-Shirts und Unterwäsche. Rolex-Imitate kosten den Einheitspreis von zehn Euro. "Very good quality", werben die Händler, "Original Armani-Kopie." Wer sich nichts aufschwatzen lassen will, muss konsequent hartnäckig sein. Und wenn man das mit einem freundlichen Lächeln verbindet, kommt auch eines zurück.

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Der folgende Artikel von Volker Wartmann über unsere Reise: "Der lykische Weg" erschien in folgenden Zeitungen:

18.09.2004

12.09.2004

11.09.2004

07./08.08.2004

14.08.2004

04.09.2004

23.10.2004

25./26.09.2004

16.10.2004

21.11.2004

 

 

 

 

Touristik Aktuell Nr. 38 vom 29.09.2003

Die lykische Palme
karaburun Tours: Türkei-Reisen abseits des Massentourismus

Antalya. Die Goldene Palme von GEO Saison hat Wirkung gezeigt: „Der Lykische Weg“ von Karaburun Tours ist in diesem Jahr eine der best gebuchten Touren des Kaufunger Türkei-Spezialisten. „Wir befördern damit natürlich keine Massen“, sagt Geschäftsführer Artur Mehmet. „Dafür bietet die Reise echte Einblick in den türkischen Alltag und die Schönheit des Landes.“

Bereits vor Jahren war der Wanderweg quer durch Lykien von Fethiye nach Antalya von der Sunday Times zu einem der zehn schönsten Wanderwege der Welt gewählt worden. Er führt zum Teil direkt an der Küste entlang und passiert zahlreiche römisch-griechische Ausgrabungen. Damit schien er wie maßgeschneidert für den Karaburun-Katalog „Reisen in Landschaften“.

Der nordhessische Veranstalter, der im Zentrum von Kaufungen über ein eigenes Reisebüro verfügt, hat die 500 Kilometer lange Strecke für „Otto-Normalverbraucher“ passend gemacht: Die schönsten Abschnitte des Weges werden erlaufen, dazwischen sitzen die Gäste im Bus. Eine Woche dauert die „leichte bis mittelschwere Wanderung“, anschließend genießen die Wanderer sechs Tage Badeurlaub in Kas. Wie auch bei anderen Touren dienen vor allem kleine Pensionen als Unterkünfte. „Wir bieten Urlaub abseits des Massentourismus an. Und dafür eignet sich Lykien ideal.“
Doch auch in anderen Regionen ist Karaburun Tours präsent: Die Schwarzmeerküste wird mit einer Rundreise durch Ostanatolien verbunden, von Kappadokien geht es zum Nemrutberg, von Istanbul mit Bahn und Bus nach Konya, Zentralkappadokien und in die Cukurova Ebene.

Neu sind im nächsten Jahr Eltern-Kind-Reisen in den Süden der Türkei. „Wir wollen Familien für einige Tage in das Nomadenleben der Hirten integrieren und Meer- und Bergurlaub miteinander kombinieren“, berichtet Mehmet. Das Konzept sei der komplette Gegensatz zu Familienurlaub im Hotel oder Club: „Kinder werden bei uns nicht zum Aufbewahren abgegeben. Wir wollen, dass die Familien gemeinsam etwas erleben.“ Matthias Gürtler

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Touristik Aktuell Nr. 6 vom 16.02.2004

Bei Nomaden und Caretta Caretta

Karaburun Tours: Goldene Palme für „Der lykische Weg“

Kaufungen (mg). Mehr als 500 Kilometer sind es durch die lykischen Berge von Fethiye bis Antalya. 500 Kilometer Wanderweg, die herausragen im Nicht-Wanderland Türkei. Denn der „Lykische Weg“ wurde nicht nur von englischen Türkei-Fans mit Wanderschildern versehen, sondern in der Sunday Times auch zu einem der zehn schönsten Wanderwege der Welt gekürt. Zur ITB wird er nun sogar mit einer Goldenen Palme geehrt.
Hintergrund für den Preis der Zeitschrift Geo Saison ist eine neue Wanderreise des Kaufunger Veranstalters Karaburun Tours. Seit mehr als zehn Jahren bietet das Mitglied im Forum Anders Reisen Wander-, Bildungs- und Studienreisen in die Türkei an. „Wir haben damals sehr schnell erkannt, dass wir als Spezialist nicht über den Preis verkaufen können“, verweist Geschäftsführer Artur Mehmet auf das Konzept, mit ausgefallenen Touren Nischen zu besetzen. So führt eine 15-tägige Wanderstudienreise von Kappadokien zum Nemrutberg, die Taurusberge werden mit Badeurlaub in Kas verbunden und die Osttürkei wird inklusive Schwarzmeerküste per Bus und Wanderstiefel erkundet. „Um die Türkei wirklich kennen zu lernen, gehen wir mitunter bis in den letzten Winkel“, macht Mehmet seinem Firmennamen alle Ehre. Denn Karaburun ist nicht nur ein Ort in der Nähe von Izmir, sondern bedeutet auch soviel wie „Da, wo der Weg zu Ende ist“.

Die Tour auf dem Lykischen Weg verbindet innerhalb einer Woche die schönsten Streckenabschnitte miteinander. Gewandert wird mit Tagesrucksack zwischen zwei und acht Stunden täglich, längere Distanzen zwischen den Etappen legen die Teilnehmer im Bus zurück. Als Unterkünfte dienen kleinere Pensionen. „Der Vorteil von Lykien ist, dass diese Region aufgrund der felsigen Küste bisher vom Massentourismus verschont blieb“, schwärmt Mehmet von einer traumhaften Route, die oftmals direkt am Meer entlang führt und mit „phantastischen Ausgrabungen“ überrasche.

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Eltern for Family Nr. 11/2004

Auf ins Abenteuer!
Familienreise in die Naturparks der Südtürkei

Eltern und Kindern (ab Schulalter), die neugierig auf neues sind, die Land und Leute kennen lernen wollen, bietet Karaburun Tours eine spannende Urlaubsidee eine zweiwöchige Familienreise, bei der drei Nächte in Baumhäusern an einem Sandstrand geschlafen wird, der nur übers Wasser erreichbar ist. Danach zwei Nächte in Zelten bei Halbnomaden auf der Akdag-Hochebene in 1000 Meter Höhe und zwei Nächte in einfachen Zimmern bei den Fischern von Kekova. Die restlichen Tage verbringen Eltern und Kinder am Strand des Olympos-Nationlaparks und helfen den Naturschützern, die Nester der Meeresschildkröte Caretta-Caretta zu vermessen und zu sichern.

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HNA 02.03.2004

Goldene Palmen fürs sanfte Reisen
Ein Kaufunger Reiseveranstalter erhielt Auszeichnungen von der Zeitschrift Geo

KAUFUNGEN. Übernachten in Baumhäusern an einem Strand, der nur über das Wasser zu erreichen ist. Die Nester der vom Aussterben bedrohten Riesenschildkröten sichern. Vom Leanderturm aus die 15-Millionen-Metropole Istanbul kennen lernen. Mit der Eisenbahn Anatolien bereisen oder zu Fuß die Schwarzmeerküste erkunden: Die Türkei ist der Schwerpunkt von Karaburun Tours Kulturreise-Service GmbH des Ehepaars Artur und Irma Mehmet, einem kleinen, besonderen Reiseveranstalter in Kaufungen. Er wurde jetzt mit dem zum elften Mal vergebenen Preis Goldene Palme von Geo Saison, dem Reisemagazin der Zeitschrift Geo, ausgezeichnet. Unter 300 Einsendungen entschied sich die Jury 2004 in zwei von vier Kategorien für den Kaufunger Reiseveranstalter. In der Kategorie Reisen mit Kindern überzeugte die zweiwöchige Familienreise Bei Nomaden, Fischern und Schildkröten in die Naturparks der Südtürkei. In der Kategorie Städtereisen gewann das achttägige Angebot 360 Grad Istanbul Istanbul vom Wasser aus sehen und erleben. Der Gewinn eines dritten Preises im vergangenen Jahr für die Sieben-Tage-Wanderung Der lykische Weg hatte den bundesweit tätigen Veranstalter ermutigt, sich abermals zu bewerben. Die Türkei, das sind nicht nur Kopftücher und Hirten, sagt Irma Mehmet. Die Philosophie der Mehmets, die seit 15 Jahren Gruppenreisen in die Türkei anbieten und vor zehn Jahren ihren Reiseladen in Kaufungen eröffneten, lässt sich soumschreiben: Es geht darum, die Sehnsucht nach dem Fremden, die alle Menschen haben, anders zu befriedigen, jeden Erdenfleck mit allen Sinnen zu erspüren, offen zu sein gegenüber den Menschen, gelebtem Alltag und Geschichte. Vielfalt wirken lassen, sich mit einer kleinen Gruppe von sechs bis 15 Reisenden abseits der Touristenzentren Land und Leuten nähern.
Angefangen hat es mit Bildungsurlauben für Lehrer, erzählt Artur Mehmet, der selbst mit halber Stelle Lehrer an einer Kasseler Gesamtschule ist. Die an den Reisen mit den Türkei-Experten Interessierten kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Karaburun Tours ist mit rund 30 anderen kleinen Reiseveranstaltern im Forum Anders Reisen zusammengeschlossen. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung eines sanften, auf Nachhaltigkeit aufbauenden, sich an der Natur orientierenden Tourismus. Erholungseffekte entstehen durch die Möglichkeit, sich mit aufnahmebereiten Sinnen anderen Kulturen respektvoll zu nähern und sich der elementaren Dinge des Lebens bewusst zu werden ob auf dem Schiff auf dem Bosporus, auf dem Fahrrad in Polen oder beim Trekking in Andalusien. Kultur- und Sprachreisen nach Irland, Mallorca, Costa Rica und Kuba werden ebenfalls organisiert. Das andere sei auch, dass sie selber alles kennen, was dort vorkommt: den Hotelbesitzer, die Restaurants, Orte und Landschaften, aber auch politisch brisante Brennpunkte. Infos über die Angebote von karaburun tours: Leipziger Straße 296, 34260Kaufungen, 05605/ 94870, im Internet unter
www.karaburun.de

 

Lust auf Abenteuer?
Eff-Autor Gero Günther und seine Familie haben in der Türkei viel mehr erlebt als Otto Normaltourist. Sie waren mit ihrer Reisegruppe auch im lykischen Hinterland unterwegs.

Was für eine Tafel! Schwarz glänzende Oliven, gefüllte Weinblätter, eingelegte Zwiebeln, gegrillte Auberginen, Fleischbällchen, Joghurt und Salate. Ein so köstliches Essen bringt die Menschen zusammen – und das ist an diesem ersten Abend gerade recht. Denn um den Tisch sitzen 15 fremde Gesichter. Seit Tagen haben unsere Söhne Baptiste ,7, und Thibault, knapp 6, gefragt:

„Wie heißen die Kinder, die mit uns fahren? Wie alt sind sie?“ Jetzt endlich, in einer kleinen Pension im Dorf Kayaköyü, das in der Ölüdeniz-Langune liegt, wissen wir es. Zwei Mädchen und vier Jungen zwischen sieben und elf Jahren: Anna, Henriette, Florian, Niklas, Franz und Johannes. Plus die dazugehörigen Eltern. Ob wir uns gut verstehen werden? Schließlich machen wir die nächsten 14 Tage zusammen Urlaub in Lykien, der südwestlichen Ecke der Türkei. Motto: „Bei Nomaden, Fischern und Schildkröten.“
„Abenteuer garantiert!“, verspricht uns Kemal
unser türkischer Reiseleiter.

Das erste erwartet uns am nächsten Morgen. Unser Boot schaukelt wie eine Nusschale auf den Wellen – das verträt nicht jeder. Die Hälfte der Kinder und Erwachsenen ist ganz grün im Gesicht. Zum Glück ist die Bucht, die wir ansteuern, nicht sehr weit. Wir können den Strand des Naturschutzgebiets von Kabak (knapp 30 Kilometer östlich von Fethiye) sehen. Aber zehn Meter davor ist Schluss – der Kapitän lässt den Anker ins Wasser.
Was nun?
 Wie man es aus alten Piratenfilmen kennt, springen wir Männer ins Wasser und bilden eine Kette: Koffer, Rucksäcke und Taschen wandern von einem zum andern an Land. Ziemlich anstrengend, wenn einem die Wellen gegen die Brust schlagen. Und dann geht’s samt Gepäck 150 Meter einen  Hang hoch. Wir hatten´s schon bequemer – aber keiner jammert. Alles viel zu aufregend, vor allem für die Kinder. Sie plappern und albern herum, und in einer kleinen Verschnaufpause fällt ihnen plötzlich auf, dass da etwas ziemlich Krach macht. „Was ist das für ein Lärm?“ „Das sind die Zikaden“, klärt Kemal auf. Ich liebe dieses Geräusch. Es passt perfekt zur Hitze, zu den Kiefer- und Pinienwäldern, zum Gelb des trockenen Grases – und zu dem Schweiß auf meinem Rücken.

TÜRKISCHE GASTFREUNDSCHAFT AUF 2000 METER HÖHE
Da finde ich es wunderbar, dass zu dem einfachen Hüttencamp, in dem wir untergebracht sind, ein kleiner Pool gehört. Aber ehe einer von uns ‚Erwachsenen drin ist, haben ihn schon die Kinder besetzt. Also Zeit zum Ausruhen, Quatschen , Kennenlernen – schön ist das, im Schatten der Olivenbäume.

Von den vier Elternpaaren und drei allein erziehenden Müttern haben einige schon Erfahrungen mit organisierten Familiengruppenreisen (im Gegensatz zu Christelle und mir). Nicht nur positive. Dagmar, die Mutter der achtjährigen Anna, erzählt: „Es reicht ein Querunlant, und die Stimmung in der Gruppe kippt.“
Ob wir auch so einen dabeihaben?
Über die beiden Wanderungen, die Kemal und die Leute vom Camp vorschlagen, meckert jedenfalls keiner. Und es kneift auch keiner.

Die erste Tour führt zu kühlen Gumpen, das sind kleine Seen oben in den Bergen, die das enge Kabak-Tal um schließen. Durch Bachbetten steigen wir empor, kraxeln über steile Felsen, die Kinder stets von zwei Führern abgesichert. Einer von ihnen hat ein Tuch auf dem Kopf. Wir nennen ihn nur „der Pirat“. „Schaut euch diese geile Landschaft an“, schwärmt Kerstin. „Geil sagt man nicht!“, rufen die Kinder. Alle lachen.

  Auch die zweite Tour an einer Klippe entlang zu einer Grotte hat´s in sich. Besonders für Albert, der nicht schwindelfrei ist, eine Mutprobe. Doch sobald er zögert, ist einer zur Stelle, um ihm unter die Arme zu greifen. Der Einstieg in die Grotte ist noch einmal schwierig, aber dann! Wir gleiten ins Wasser und schwimmen in den dunklen Raum hinein – um uns tiefes Balua wie aus dem Aquaellmalkasten.

„Allaha ismarladik! Auf Wiedersehen!“ Was  - schon vorbei? Nach  drei Tagen der erste Aufbruch: Mit unserem Gepäck steigen wir zum Dorf Kabagk hinauf, wo der Kleinbus wartet, der uns ins Landesinnere bringt. Zu unserem nächsten Ziel, besser, in die Nähe davon. Für die letzten Kilometer vom Städtchen Gömbe auf die Hochebene Subasi-Yayla im Taurusgebirge steigen wir um auf einen Traktor. Erst schlichten wir das Gepäck auf den Anhänger, dann krabbelt die Mannschaft auf die Ladefläche.
Über eine Schotterstrasse rumpeln wir immer weiter nach oben. „Das gibt sicher blaue Flecken“, vermutet Kosmos, der Vater von Florian. Egal. Spaß macht die Holperfahrt trotzdem.

Oben auf über 2000 Meter ist die Landschaft karg. Trotzdem komomt die türkische Großfamilie jeden Sommer aus ihrem Dorf hier hoch. Auf den Weiden der Alm finden ihre Ziegen und Schafe frisches Futter. Und es gibt einen Bach , der auch im August nicht austrocknet.

Wir schlagen unsere Zelte direkt neben der Hütte unserer Gastgeber auf. Darin treffen wir uns später auch zum Abendessen. In zwei Kreisen setzen wir uns auf den Boden des Koch-, Wohn- und Schlafraums. Eine der Frauen breitet ein großes buntes Tischtuch über unser Knie aus und stellt in die Mitte einen Topf Reissuppe mit Ziegenfleisch, Brot, gegrillte Paprika, selbst gemachten Schafskäse und für jeden ein Glas Cay, schwarzen Tee mit viel Zucker. Die Kinder langen kräftig zu. Komisch, sonst sind sie oft so mäkelig. Aber vielleicht wollen sie sich vor Hatiye, 6, und ihrem zehnjährigen Bruder Mehmet nicht blamieren.

„Die Jungs riechen ganz schön nach Ziege“, stellt Christelle fest, als wir spät in der Nacht in unsere Schlafsäcke kriechen. „Bald werden sie nach Fisch stinken“, vermute ich. Denn von der Hochebene geht’s übermorgen wieder hinunter ans Meer nach Ücagiz, einem ehemaligen Fischerdorf 30 Kilometer östlich des Küstenstädtchens Kas. Hier wollen wir die nächsten drei Tage hauptsächlich im und auf dem Wasser verbringen.

Johannes ist der Erste, der bei der Bootstour durch die Inselwelt von Kekova von Bord hüpft. Platsch, platsch, platsch folgen die andern. Ein fröhlicher Schwarm schwimmt durch das smaragdgrüne Wasser den Fischen hinterher. Ein par große Exemplare bekommen wir mittags frisch gegrillt auf den Teller.
„Ich möchte auch Fische fangen“, sagt Thibault. Kein Problem. In der kommenden Nacht dürfen die Kinder mit Yusuf, unserem Kapitän, auf seiner Barke hinausfahren. 200 Meter lang ist das Netz, das der alte Mann und sein Sohn auslegen. Doch der Mond scheint zu hell – die Beute fällt mager aus.

Zu nachtschlafender Zeit aufzustehen lohnt sich in Cirali, unser vierten Station, schon mehr. Im Juli und August schlüpfen hier fast jede Nacht Baby-Carette-Meeresschildkröten aus den Eiern, die von den Muttertieren ein paar Wochen zuvor im Sand abgelegt wurden.
Ob wir heute Nacht Schildkröten-Babys sehen? Aufgeregt laufen wir mit den Kindern im Morgengrauen zu den Drahtkörben, die Tierschützer über die Nester gestülpt haben. Hurra! Gleich ein ganzes Dutzend ist aus den Eischalen gekrochen. Schwarze, streichholzschachtelgroße Winzlinge, die einen zehn Meter breiten Kiesstreifen durchqueren müssen, um zum Meer zu gelangen. Wie unüberwindbar müssen die Steine aussehen, wenn man so klein ist? Aber die Tiere sind unbeirrbar. Die Sonne steht inzwischen weit über dem Horizont. Die Tierschützer zeigen uns, wie man die kleinen Körper mit Wasser aus Plastikflaschen benetzt. Die Schildkröten sind im Wasser und die Menschenkinder glücklich.

Henriette, 8, findet die kleinen Schildkröten so süß, dass sie jeden Tag in aller Früh an den Strand will. „Woher sie bloß die Energie nimmt?“, fragt sich Annette, ihre Mutter. Nicht mal bei der Besichtigung der Ruinenstadt Olympos, die am andern Ende des Strands von Cirali liegt, macht sie schlapp.

Während wir über den Plattenweg laufen, erzählt uns Kemal, dass Olypos über 2000 Jahre alt ist und einst eine wichtige Hafenstadt war. Lykier und Griechen haben hier gelebt, Piraten benutzten die Stadt als Stützpunkt. Heute schlingen sich Wurzeln um die umgestürzten Säulen, Bäume wuchern aus den Trümmern der alten Bäder, Tempel und Häuser. Magisch.

Der letzte Ferientag ist da, das letzte gemeinsame Essen – schwarz glänzende Oliven, Schafskäse, frisches Brot-, und wieder löchern uns die Kinder mit Fragen: „Können wir Johannes in Wien besuchen?“ „Wann vereisen wir mal mit Anna?

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Nr.I/2006

Der Spur von Nomaden folgen
Hannoversche Allgemeine 15.10.2005

Eine Wanderung auf dem Lykischen Weg in Süden der Türkei ist eindrucksvoll und ein Naturerlebnis.
Eng kleben die Häuser von Kale Köyü nebeneinander. Auch der kleinste Platz am steilen Hang zwischen der türkis schimmernden Bucht und der alten Burg hoch oben auf dem Berg ist ausgenutzt . Wie ein kleines Labyrinth verwirren die schmalen Wege und Passagen, die die wenigen Grundstücke miteinander verbinde. Die Stufen der Truppe hinauf zur frühmittelalterlichen Ruine sind offenbar herausgebrochen. Wir steigen hinauf zu Festigung der Kreuzritter und genießen bald den Blick auf die Insel Kekova und das Meer, in dem einst die Stadt Simena versunken ist.

Wer nach Kale Köyü kommen will, hat nur zwei Alternativen – eine Bootsfahrt oder eine 40-minütigen Fußweg. Eine Straße führt bis heute nicht zu dem idyllischen Kleinod. Zwar kommen tagsüber die klobigen, hölzernen Ausflugsschiffe übers Meer, von denen aus die Touristen die im glasklaren Wasser sich abzeichnenden Grundmauern betrachten; aber nur wenige legen an den kleinen Stegen an. Spätestens am Abend sind die Einwohner und die wenigen Gäste unter sich.

Kale Köyü ist Etappenziel auf dem Lykischen Weg. Die uralte Verbindung für Händler und Nomaden schlängelt sich auf knapp 510 Kilometer durch Küstenregion und über Bergrücken bis hoch hinauf ins Taurusgebiet. Bis vor wenigen Jahrzehnten war sie der einzige „Verkehrsweg“ für die Menschen; heute sind etliche Teilstücke durchaus komfortabel für Autos und Laster ausgebaut. Anderswo hat die inzwischen komplett markierte Fernwandstrecke ihren ursprüngliche Reiz behalten. So machen sich immer mehr Menschen auf, die von der britischen Zeitung „Sunday Times“ zu den zehn schönsten Wanderwegen der Welt gewählten Routen für sich zu entdecken.

Zwar gibt es hier und da schon einfache Pensionen oder eine gastfreundliche Familie, die zumindest den blanken Fußboden für eine  Nachtlage zuweist. Manchmal aber helfen nur Schlafsacke und Zelt weiter. Deutsche Rücksacktouristen müssen ein weiteres Handikap meistern: Bislang liegt nur eine Wegbeschreibung in englischer Sprache vor; die deutsche Übersetzung lässt noch auf sich  warten.

Aber es gibt bereits erste komfortable Angebote, die schönsten Etappen des Lykischen Wegs zwischen Fethiye und Antalya auf einer organisierten Reise kennen lernen. Sicheres Schuhwerk und ein wenig Ausdauer gehören zu den Bedingungen. Das phantastische Panorama stiller Buchten und hoher Felsrücken ist nicht im Handumdrehen zu haben: Auf Geröll geht es steil bergan; ein anders Mal brennt die Sonne heiß auf den blumenlosen Weg. Deshalb sind eigentliche nur zwei Zeiträume für eine erlebnisreiche Tour empfehlenswert: der milde Spätherbst oder das blumenreiche Frühjahr.

Auf Schritt und Tritt ist Altertümliches am Wegrand zu finde. Griechen, Römer, Byzantiner, Seldschuken und Osmanen haben ihre Spuren hinterlassen. Oft verwendeten die Nachfolger dabei das Baumaterial ihrer Vorgänger: So erklären sich die griechischen Schriftzeichen in Steinen und Säulenresten, die in römischen Tempelwänden neue Verwendung gefunden haben. Mitteleuropäische Archäologiefreunde dürften sich zudem die Haare rufen: Respektlos dienen steinerne Deckel griechischer Sarkophaggräber als Viehtränke; anderswo verleiht ausgerechnet ein prächtiges Pfeilergrab aus altlykischer Zeit einem zur Reparatur aufgedockten Fischerboot den nötigen Halt. Den Wecker im Gepäck hätten wir uns getrost schenken können. Lange vor dem ersten Morgengrau dringen selbst in den von der Zivilstation entlegensten Winkeln ungewohnt Geräusche an der Schläfer Ohr: Mal ist es Meeresrauschen oder die laut tuckernden Motoren der Fischerboote, mal der blechern klingende Ruf des Minarett oder aber das akustische Wetteifern  von einem halben Dutzend Hähnen  in der Nachbarschaft. Nach dem Frühstück aus Ziegenkäse, Oliven, Tomaten und Gurken geht es über steppenähnliche Ödnis am Fuß steiler Felsen entlang, in regenwaldähnliche Vegetation und über Wanderdünen. Es scheint, als biete die Türkei hier fünf Erdteile auf einmal.

Dann treffen wir einen Nomaden in zerschlissen Jacken. Er hütet auf einer Alm Ziegen und Rinder. Ein winziger Bretterverschlag auf vier Stelzen dient dem Hirten als Heimstatt. Da sind die Ställen für die Tiere geräumiger als der Platz für Bett und Ofen auf nicht einmal vier Quadratmetern – eine beeindruckende Begegnung.
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Gute deutsche Spitzhacke
Sonntag aktuell 11.09.2005

Made in Germany hat in der Türkei immer noch einen guten Klang. Denn zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts haben deutsche Ingenieure und Arbeiter Bahnhöfe und Gleisanlage für die berühmte Strecke von Istanbul nach Bagdad gebaut. Eine Spurensuche.
Frau Dülay runzelt die Stirn, während sie in den Kaffeesatz unserer Tassen schaut. Dann sagt sie: „ Eine lange Reise steht Ihnen bevor. Es wird auf und ab gehen, aber am Ende werden Sie Ihre Ziel erreichen. „ Frau Dülay ist Ausbildungsleiterin im Istanbuler  Bahnhof Haydarpascha. Ihr Chef Bekir Ersoy hatte sie ins Direktionszimmer gerufen, damit sie uns- den Besuchern aus Deutschland - die Zukunft voraussagt.

Dies war nur einer der zahlreichen, kleinen Gesten türkischer Gastfreundschaft, die wir in den folgenden Tagen erleben sollten. Zugegeben die Prognose einer „langen Reise“ war für Frau Dülay nicht so schwierig. Denn wer den berühmten, von deutschen  Architekten in den Jahren 1905 bis 1909 errichteten Bahnhof Haydarpascha  besucht, will meist auch mit der nicht minder berühmten Bagdadbahn durch die Türkei fahren.

Unsre Ziel ist Adana am Fuß des Taurus-Gebirge. Das sind mehr als 1000 Bahnkilometer Fahrt. Bevor wir einsteigen, führen uns Herr Ersoy noch zu einer ersten vor wenigen Wochen an der Fassade des Bahnhofsgebäudes angebrachten Gedenktafel. Auf der steht in Deutsch und Englisch die Geschichte des Gebäudes. Daraus geht hervor, dass es eine Zeit gab, als Deutsche als Gastarbeiter in der Türkei ihr Glück gesucht hatten: „ Beim Bau arbeiteten türkische Handwerker Seite an Seite mit deutschen Handwerkern.“

Deutsche Ingenieure und Arbeiter, darunter auch Österreicher, waren es nämlich, die das Schienennetz der Bagdadbahn anlegten. Mit Meißel, Hand- und Elektrobohrer und Dynamit schlugen sie im Gebirge zahlreiche Tunnel durch die Felsen. Noch heute sprechen ville Türken mit Hochachtung über die Leistung. Selbst anatolische Bauern bezogen ihr größten Respekt. „ Almani Kazmazi“ sagen sie, was so viel heißt wie „deutsche Spitzhacke“. Gemeint ist nichts Abschätziges, sondern die Hochachtung der deutschen Wertarbeit. Denn beim Bau der Bahn zerbrechen die deutschen Hacken nicht, im Gegensatz zu denjenigen anderer Herstellerländer.

Die Bagdadbahn mit ihren verschiedenen Strecken und Teilstrecken war und ist ein Torso. Während ihrer Bauzeit wurden zwei Weltkriege geführt, und es dauerte ganze 38 Jahren, bis das anatolische Konya mit der irakischen Hauptstadt verbunden werden konnten. Heute fahren Sonderzüge allenfalls bis Damaskus. Dreimal in der Woche fährt der Taurus- Express von Istanbul nach Adana , und nur eine Der Fahrten endet im syrischen Aleppo. Das Durchschnittstempo beträgt 65 Stundenkilometer, was nicht gerade viel ist. Ein Schlafwagen bis Adana ist daher dringend zu empfehlen. Der Zug hält selbst in kleineren Orten. Deren Stationshäusern können auch irgendwo in Deutschland stehen, so eindeutig ist der alte Reichsbahnstill noch erhalten. Einige Stellwerke tragen noch deutsche Firmenschilder, und wer ein wenig im Gleisschotter wühlt, findet auch schon mal eine Schiene mit der Prägung „Krupp 1896 “.
Es dauert beinahe 22 Stunden, bis wir das 7000 Jahre alte Adana erreiche. Es ist die viertgrößte Stadt Türkei. Doch Touristen sind Stadtinneren kaum auszumachen, die bleiben meistens in den strandnahen Bettenburgen von Antalya und Alanya.“ Das alles dort ist fest in deutscher Hand“, sagt Hasan Erdogan , unser türkische Begleiter. Und grinsend fügt er hinzu: Dafür haben wir Hamburg - Ottensen und Berlin- Kreuzberg erobert.“ Hasan ist studierter Germanist, in Deutschland aufgewachsen. Eines unseren ersten Ziele ist das auch für Türken rätselhaft Belemedik. Rätselhaft, weil es kaum einer kennt. Nur noch auf wenigen Landkarten ist es verzeichnet. Um 1900 war das ganz anders. Damals war Belemedik das Basislager für die deutschen Tunnelbauer im Taurus. Es existierten Werkstätten und Büros, ein kleines Kraftwerk, eine deutsche Schule, eine deutscher Krankenhaus , eine Küche und ein Friedhof mit deutsche Namen auf den Grabsteinen. Selbst ein Bordell hatte man eingerichtet – in gesittetem Abstand von einem Kilometer zur Siedlung. Nach Fertigstellung der Tunnel verließen viele Arbeiter und deren Familien den Ort, und der Verfall begann. Als der aus Weimer stammende Pionieroffizier Hauptmann Hans Tröbst Belemdik im Januar 1922 “in dienstlichem Auftrag„ besuchte – er war damals der einzige Deutsche in türkischer Uniform und unter Kemel Atatürk beim Wiederaufbau einer im Krieg zerstörten Bahnsektion eingesetzt -, notierte er in sein Tagebuch Eindrücke, die vielleicht am besten die Lebensumstände illustrieren:

Nach einem 10 Kilometer langen Fußmarsch über die schwellen der Bahnstrecke kam ich bei Einbruch der Abenddämmerung in Belemedik an. Dieser „ Ort“ ist nichts weiter mehr als ein Gewimmel von Baracken, Schuppen und Lagerhäuser, die in einem prächtigen Talkessel liegen. So eine Kessel habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen.

Vor zwei Jahren waren wir hier die Cetters ( Räuberbande) ringsherum auf den Bergen erschienen, so dass die Bewohner von Belemedik in der reinsten Mausefalle saßen. Nach einer tollen Schießerei war die Gesellschaft dann von Bergen gekommen., hatten alle Armenier und Griechen unter dollen Quälereien abgeschlachtet, sogar die kleinen  Kinder haben daran glauben müssen , anschleißend hatten die Cetters alle geplündert, jedoch musste bei Todesstrafe sein Geld abliefern und dann hatten sich die tatendurstige Bande darüber gemacht, alle Maschinen und sonstigen Sachen zu zertrümmern.

Die Nacht verbrachte ich bei einer deutsche Familie aus Berlin – einer Dame von 60 Jahren mit ihrer 35- jährigen Tochter, die hier als Vorsteherin der Kassenverwaltung arbeitet. Beide waren in der Cetter -Zeit nur mit knapper Not dem Tod entgangen ... „

Heute erreicht man Belemedik nur mit Hilfe Ortskundiger. Bei Camalan kommen wir an einem weiteren deutschen Friedhof vorbei. Eingemeißelt in Stein in deutscher Sprache steht der Satz: „ Hier ruhen deutsche Bürger, die beim Bau der Bagdad – Bahn ihr Leben ließen.“ Nicht weit davon führt zwischen der einspurigen Bahnlinie und dem Fluss Caket eine unbefestigte Straße in die Berge. Dann, nach einer Straßenkehre, das Stationshäuschen von Belemedik. Der Laternenmast mit dem Prägedruck „ Hoesch 1912“ gibt schon lange kein Licht mehr. Die einzigen Züge, die noch halten, bringen an Wochenende Gäste, die hier ein Picknick veranstalten. Von den ehemaligen Gebäuden sind nur noch Ruinen übrig , die als günstigsten Baumaterial dienen. Auch die Grabsteine des Friedhofs nahmen diesen tristen Weg.

Eine Tagestour führt uns von Adana aus auch zu der Warda – Brücke im Taurus, in 1200 Meter Höhe. Sie wurden ebenfalls von deutschen Ingenieuren erreichtet. Ein mächtiges Viadukt ist es, gemauert im Stil römischer Wasserleitung, mit drei großen Bögen. Gut 100 Meter ist es hoch. Eigentlich heißt die Brücke Giaurdere- Viadukt . Doch weile die Arbeiter beim Abwerfen der Verschlagung immer „ Warda“ rief ( „ Aufgepasst“) ist das jetzt ihr offizieller Name. Beim Mersin liegt das antike Tarsus. Reste eines Hauses, in dem angeblichen der ApostelPaulus geboren wurden. Außerdem ein Tor, durch das Kleopatra von der Einschiffung nach Rom getragen wurden, und ein freigelegtes Stück des altrömischen Fernstraßennetzes, auf dem Cicero wanderte: 2000 Jahre ist die Straße alt, aus Basaltsteinen gebaut, sieben Meter bereit, mit Abflussrinnen rechts und links – sechs Meter unter dem Asphalt der Moderne. Unweit davon, in einem künstlichen Wasserbecken, steht der 1911 in Kiel gebaute Mienenleger Nusret als Museum und Mahnmal. In der Dardanellenschlacht 1915 half er den Türken beim Sieg über England und Frankreich .

Wie Mersin liegt auch Karatas am Mittelmeer. Hier ist der Massentourismus noch in weiter Ferne. Ganz in der Nähe liegt das Vogelschutzgebiet von Akyatan: Flache Dünen, ein schier endloser Strand, eine Lagune. Zugvögel rasten hier. Auch Kozan, eine Autostunde nördlich von Adana, bietet sich an als Ausflugsziel. 70 000 Einwohner klein, am Fuß einer von den Assyrern gebauten mächtigen Burg. Ein Bauer lädt zum Tee ein, dazu gibt es süßen Mandelkuchen. Wir haben schon gelernt, vor dem Betreten einer türkischen Wohnung die Schuhe auszuziehen. Und wegen der Unterhaltung wird von irgendwo ein Nachbar oder Verwandter herbeigeholt, der Deutsch spricht.
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Reisen mit dem Herzensblick (Frankfurter Rundschau 2.8.1997)
Die Spezialisten (IX): Mit Artur Mehmet auf ungewöhnlichen Pfaden (  nicht nur ) durch die Türkei
Artur Mehmets Vater ist ein Krim-Tatar, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft geriet , viel Glück hatte und überlebte. Tataren und Türken haben kulturell und sprachlich gemeinsame Wurzeln, so beispielweise der tatarische Nachname Mehmet ein gebräuchliche türkischer Vorname. Als Sohn eines Krim- Tataren fühlte sich Artur Mehmet daher nicht nur wegen der zahlreichen Reisen nach Kleinasien der türkischen Kulturen selenverwandt.
So engagierte er sich als Lehrer an einer Gesamtschule in Kassel in den frühen 80er Jahren gegen Benachteiligung türkischer Kinder, arbeitet in der Ausländerpädagogik., gründete im Nordhessischen den türkisch- deutschen Freundschaftsverein „ Kulturverein Felsberg “ und fuhr mit Geld– und Sachspenden für Erbebenopfer nach Ostanatolien.
Nebenbei organisierte er zweimal pro Jahr für Pädagogen-Kollegen eine Studienreisen in die Türkei und nutzte seine zahlreichen Kontakte  für Bewegungen zwischen den Kulturen , die er „ lernendes Reisen“ nennt. 1989 gab er der „gesicherten Lehrer- Laufpass“ und startete sein eigenes Reiseunternehmen mit dem geheimnisvollen Namen  „karaburun tours“. Das türkische Wort Karaburun heißt „ Ende der Welt „ und ist auch der Name eines kleinen Fischerdorfes in der Westtürkei, das seinem Namen durchaus gerecht wird.
Denn dort endet die asphaltierte Straße aus Izmir, und das alltägliche Leben der 200 Einwohner spielt sich ungebrochen im traditionellen Rhythmus ab, mit dem täglichen Obst- und Gemüsemarkt auf dem Dorfplatz und dem Tratsch der Männer im Teehaus. Die wenigen Besucher fahren mit den Fischern hinüber zur Ziegeninsel, wo man auf alten Pfaden wandern kann.
Dieses „Karaburun“ abseits von Zeitgeist und Touristenströmen ist für Artur Mehmet zum Synonym geworden für eine andere Art des Reisens, und der scheut sich nicht, sie mit Altmodischen Wertebegriffen zu beschreiben. „ Mit dem Herzensblick „ will er mit seinen Gästen unterwegs sein und dabei mag jedoch zu sich selbst kommen, „ verweilen, stillstehen, lauschen, riechen,  schmecken, und staunen.
So sind ihm auch die Wanderreisen entlang der gebirgigen, kräuterduften lykischen Küsten der Südtürke die allerliebsten  . Geschlafen wird dabei in kleinen Privatpensionen am einsamen Strand oder Bergdörfer, die Gäste lernen die Tempelstätten und Heiligtümer der Lykier ebenso kennen  wie zentrale Orte der antike Mythologie, aber auch idyllische Hafenstädtchen  und die wildromanischen Taurusberge.
Olympische Leistungen sind auf den Wanderungen nicht gefordert. Wichtiger ist schon das  Interesse an Land , Leuten  und Geschichte. Und ganz nebenbei lernt man jenseits aller Shopping- Betriebsamkeit und Sightseeing- Hektik auch wieder „die Fähigkeit, in den Tag zu leben“
Doch weil man  mit ein paar handverlesenen Wanderreisen im Jahr kein Büro mit zwei festen Mitarbeiterinnen finanzieren kann, hat der Karaburun –Chef auch noch etliche andere Ziele im Programm – immer mit der Vorgabe, in jeder Hinsicht abseits von Messentourismus zu bleiben. So entpuppt sich der Katalog als Fundstätte für originelle und ungewöhnliche Trips, von Radwanderungen durch die Nationalparks in Nordostpolen nahe der litauischen Grenze bis zu Segeltörns mit einem traditionellen gälischen Hooker vor der Westküste Irlands.
Dazu kommen Urlaubsattraktionen, die bei keinem deutschen Veranstalter zu finden sind, wie die pittoreske, dänische Ferienhausanlage bei Ebeloft, die für ihre modernistische Architektur und ihrer naturnahes Freizeitkonzept etliche Preis einheimste, oder eine Tour mit Packpferden durch die norwegische Sirdalsheiene. Auch auf die Krim führt eine Wandertour,( die Artur Mehmets Bruder Volker leitet ), wo es auf traditionsreichen Pfaden zu Klöstern, Felsenstädten und in die einsteige tatarische Hauptstadt Bachtschissaraj mit dem Palast der Kahne geht.
Eine ganz besondere ( und meist auch besonders preisgünstige ) Reise ist schließlich jedes Jahr den Kindern gewidmet. Diesen Sommer gibt es eine Theaterfreizeit in Mecklenburg-Vorpommern, wo Kinder und  Erwachsene eine Woche lang im Wohnwagen am See leben und lernen, Theater zu spielen , Beeren zu sammeln, Lagerfeuer zu machen und „ nachts mit den Wölfen zu heulen“.

Auf den Spuren des Paulus
Augsburger Allgemeine 18.Mai 2010

von Birgit Hägele

Auf Apostel Paulus Spuren
HNA 22.Mai2010

von Birgit Hägele